10. Sonntag im Jahreskreis A - 10. Juni 2023

 

Die Texte des heutigen Sonntags, die Lesungen aus dem Buch Hosea und dem Römerbrief ebenso wie die Perikope aus dem Matthäusevangelium sind von einer gemeinsamen Grundfrage durchdrungen: „Wer ist Gott?“ – Und diese Grundfrage sollte bei uns eine weitere Frage auslösen und beantworten: Wie stehe ich in meiner Berufung zu diesem Gott. 

Es begegnet uns zunächst Jahwe, der Gott des Alten Testaments, er ist der Vater Jesu, derjenige, an den auch Jesus als Mensch und Jude geglaubt hat, auf den er sein Vertrauen gesetzt hat bis in den Tod hinein. Was ist das für ein Gott, dem Jesus selbst in seinem Leben derart vertrauensvoll verbunden war und dessen heilvolle Nähe sich im Handeln Jesu realisiert und erfahren läßt? – Was ist das für ein Gott, auf den der Priester, der Diakon, der Ordensmann sein Vertrauen setzt? Was ist das für ein Gott, dessen heilvolle Nähe auch der Priester in seinem Handeln realisieren und erfahrbar machen sollte? 

Und wie verhält sich dieses biblische Gottesbild zu unserem, zu meinem Bild von Gott? Wer ist Gott für mich? Treten wir gemeinsam ein in diese Frage, und beleuchten wir sie von drei verschiedenen Blickwinkeln.

 

Die Erste Lesung aus dem Propheten Hosea gibt uns den Blick frei in das Innere Gottes. Gott reagiert überraschend enttäuscht und ratlos auf das Vorhaben seines Volkes, nach Erkenntnis Gottes zu streben. Die Liebe seines Volkes kommt ihm kurzlebig vor wie der Tau am heißen Morgen und wie die von der Glut der aufgehenden Sonne weggesengte Morgenwolke. Es drängt ihn in dieser Enttäuschung – anscheinend – zur Gewalt. Er nimmt sich vor, dreinzuschlagen durch seine Propheten, durch die Worte seines Mundes. Der Inhalt der prophetischen Verkündigung ist dann allerdings ebenso überraschend nicht eine zu erwartende vernichtende Gerichtsankündigung, sondern die Offenbarung des Gottesrechts, das wie das Licht die Finsternis zerreißt. Die Lesung aus dem Prophetenbuch endet mit der Verkündigung des Willens Gottes: »Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.«

Dieses Wort ist von derartiger Bedeutung geworden, dass es im Matthäusevangelium auch von Jesus wieder aufgegriffen wird in einem Streitgespräch mit den Pharisäern. Es enthält offenbar einen wesentlichen Impuls zur Gottesfrage. Wer ist Gott für den Propheten Hosea? Für ihn ist Jahwe einer, der Opfer ablehnt. Er will das Leben, nicht den Tod. Und zwar das Leben aller. Er ist ein Gott des Lebens, der Gewalt verabscheut. Darum lehnt er die Opfer ab, die keine Lösung des Gewaltproblems bieten. An ihre Stelle soll die Liebe treten und damit auch die Gotteserkenntnis.

Fragen wir uns: Können wir an einen Gott der Liebe glauben, oder zieht es uns eher zur Gewalt, um Probleme des Alltags und der Gesellschaft zu lösen?

Sind wir bereit, unseren Mitmenschen den Gott der Liebe auch durch unser Lebenszeugnis zu verkündigen? Oder pressen wir die Menschen in Doktrinen und Schemen, lieblos und ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse?

 

Den Gott des Lebens bezeugt auch Paulus in der heutigen Lesung. Gleichzeitig stellt er Abraham als unseren Vater im Glauben an diesen Gott des Lebens vor. Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung an die Erfüllung der Verheißungen Gottes und damit an Gott selbst geglaubt. Dadurch erwies er Gott die Ehre, indem er überzeugt war, dass Gott die Macht hat zu tun, was er ihm verheißen hat. Abraham erfuhr in seinem glaubenden Vertrauen Gott als den »der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft«.

Doch nicht nur Abraham soll Gott in dieser Weise erfahren. In der Auferwecken Jesu hat Gott sich erneut als der Gott des Lebens und als Überwinder des Todes erwiesen. Ausdrücklich weist uns Paulus zum Abschluss darauf hin, dass unser Glaube demselben Gott gilt und wie dem Abraham auch uns zur Gerechtigkeit angerechnet wird.

Im Glauben an den Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat, treten wir Christen in die Tradition des Abraham ein. Können wir Gott die Erfüllung unseres Lebens zutrauen, wie das Abraham getan hat? Vor allem: Können wir als Priester unserem Gott die Erfüllung unseres Lebens zutrauen, oder sehen wir nur die Defizite – wie dies in der Gesellschaft heute Mode geworden ist?

Ist auch für uns Gott derjenige, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft? Oder müssen wir in Angst und Sorge um unser Dasein uns in erster Linie auf uns selbst und unsere Macht verlassen, um am Leben zu bleiben und unser Leben zu erfüllen? Siegt die Versuchung der Macht über den Glauben an Gott? Oder können wir auch wie Vater Abraham Gott die Ehre geben in der Überzeugung, dass er die Macht hat zu tun, was er uns verheißen hat?

 

Und zum Schluß ein Drittes: Gott will die Rettung aller. Bei näherer, vor allem emotionaler Betrachtung fällt es wohl nicht leicht, das zu akzeptieren. Man versteht die Pharisäer, die sich über Jesus und seine Praxis der Integration empören. Sollen wirklich auch die Ausbeuter und Unterdrücker, die Verräter und Menschenschänder Erbarmen finden und in die menschliche und göttliche Gemeinschaft aufgenommen werden?

Jesus konfrontiert uns mit diesem Ansinnen. Er beruft Zöllner in die Jüngerschaft und hält Mahl mit den Zöllnern und Sündern. Dies sehen die Frommen als Skandal. Jesus beruft sich zu seiner Rechtfertigung auf die prophetische Tradition: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Er macht Ernst mit dem Gottesbild, das ihm aus der heiligen Schrift bekannt ist, und zwar in der Praxis. In seinem Handeln begegnet die Liebe Gottes den Außenseitern, den potentiellen und wirklichen Opfern der Gesellschaft. Der Gott des Lebens wird für sie erfahrbar. Jesus fordert die Frommen seiner Zeit zum Umdenken heraus, er möchte ihr Denken befreien zu Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Sie reagieren darauf jedoch mit tödlichem Haß, ihre erstarrte Frömmigkeit zwingt sie zur Gewalttat. Jesus, der sich auf die Seite der Ausgegrenzten gestellt hat, um ihnen die Nähe des Gottes des Lebens erfahrbar zu machen, der Opfer ablehnt, wird dadurch selbst zum Opfer der Gewalt.  Auch ihm gegenüber erweist sich Gott als Gott des Lebens, der ihn von den  Toten auferweckt.

Und so wird die provozierende, kontrastive und religionskritische Praxis Jesu zu einer Herausforderung an unseren Glauben: Können auch wir im Glauben an den Gott des Lebens uns einlassen auf ein praktisches Handeln, das Opfer der Gewalt in Schutz nimmt, sie in die menschliche Gemeinschaft der Kirche integriert und ihnen die heilvolle Nähe des Gottes des Lebens und der Liebe erfahrbar macht?

Oder bleiben wir lieber als Fromme unter sich, würden am liebsten die Kirchentüren versperren, wenn wir Gottesdienst feiern? Sind wir offen für jene, die am Rand stehen, für die Sünder und als solche Abgestempelten? Wollen wir auch Ihnen die Liebe Gottes zeigen?

 

Lassen wir uns vom Herrn in das Geheimnis des Gottes des Lebens und der Liebe einführen und öffnen wir unser Herz, dass wir heute neu damit beginnen können, Gottes heilvolle Nähe und Gegenwart in und mit unserem Leben zu bezeugen!

 

Amen.