30. Sonntag im Jahreskreis C (23. Oktober 2022)

Wieder einmal geht es im Evangelium der heutigen Sonntagsmesse ums Gebet. Das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner nimmt seinen Ausgang vom Wort des Herrn an seine Zuhörer, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten.

Das Gebet ist für das übernatürliche Leben, was das Atmen für das natürliche ist. Niemand von uns würde auf die Idee kommen, sich zu sagen: Ich höre jetzt mit dem Atmen auf, ich hab schließlich schon genug und vor allem gut und tief durchgeatmet. Im Gegenteil, in eigenen „Atemschulen“ müssen wir heute oftmals lernen, wieder richtig zu atmen, weg vom stressgeplagten Hecheln und von der Oberflächlichkeit der Flachatmer, weg von der Krankheit der Asthmatiker, dass sie - gleichsam als Symbol unserer Zeit - die Luft nicht mehr loslassen können, die sie in den Lungen haben. 

Niemand würde auf die Idee kommen, mit dem Atmen aufzuhören. Aber wie ist dies mit unserem Gebet? Vielleicht hören wir nicht ganz mit dem Beten auf, aber der Inhalt verändert sich. Zu befürchten ist für unser Seelenheil, wenn sich der Inhalt in Richtung Pharisäer verändert. „Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die andern, die Mörder und Betrüger und Geldwäscher, (die korrupten Politiker), die Asylanten und die Drogensüchtigen“ -  ein wenig in die Problematiken unserer Zeit versetzt.

So besteht die Gefahr, dass der Atem unserer Seele, das Gebet, nachlässt und krank wird. Es besteht die Gefahr, dass wir uns nicht mehr um das neue Leben in Christus kümmern, und das alte Leben, unser irdisches, ichbezogenes, wieder die Überhand gewinnt und das andere erdrückt. Das neue, innere Leben wird uns von Gott im Gebet in die Hand gegeben, wie das zarte Leben des Kindes in die Hand der Mutter gelegt wird oder das gefährdete in die Hand des Arztes und Pflegers. 

Prüfen wir uns heute, ob unser Gebet - der tägliche Umgang mit Jesus - wirklich wie das Ein- und Ausatmen des Geistes ist und alles in unserem Alltag belebt: die Arbeit, das Familienleben, den Umgang mit Freunden, Bekannten und Kollegen, unser apostolisches Zeugnis… Denn alles, was wir ehrlich, demütig und aufrichtig mit dem Herrn besprochen haben, erscheint uns in einem neuen Licht. Ein Licht, das aus dem Geheimnis Gottes kommt und das Alltägliche und Außergewöhnliche, das Selbstverständliche und Unbegreifliche im Leben erleuchtet. Ohne dieses Licht sind wir im Dunkeln. 

Lernen wir von den großen Betern des Alten Bundes, vor allem von den Betern aus dem Neuen Testament und aus der Geschichte der Kirche. 

Beten wir mit dem Vertrauen und der Selbsterkenntnis des Jesus Sirach, der weiß: Das Flehen des Armen durchdringt die Wolken, es ruht nicht, bis es am Ziel ist, es weicht nicht, bis Gott eingreift und Recht schafft als gerechter Richter. Nehmen wir uns die versöhnende Haltung des Paulus zu eigen, der für die, die ihn im Stich gelassen haben in Not und Verfolgung, betet, es möge ihnen nicht angerechnet werden. Und der weiß, dass der Kranz der Gerechtigkeit für jeden bereit liegt, der bereit ist, sich ganz von Gott durchstrahlen zu lassen und das einfache, kindliche, persönlich vertrauende Gebet einzufügen in den großen Heilsstrom, der diese Welt zum Licht führen will. 

Amen.