31. Sonntag im Jahreskreis C - 31.10.2022

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Ich liebe das Leben“, hat ein Schlager als Refrainzeile. Wenn wir den Text des Buches der Weisheit genauer anschauen, dann können wir als Interpreten eines solchen Liedes einen einzigen wirklich annehmen. Unseren Herrn und Gott. „Herr, du Freund des Lebens“, nennt ihn das Weisheitsbuch.

Anders als der Schlager, der natürlich die Diesseitigkeit meint, eine moderne Eudaimonia, ein Auskosten all der weltlichen Genüsse, weil irgendeinmal Alter und Krankheit und Tod all dem ein jähes Ende bereiten, spricht das Weisheitsbuch vom Leben in seiner Gesamtheit. Vom irdischen und übernatürlichen Wohlergehen, vom Heil, das sichtbar in dieser Welt sich ereignet, spürbar und als Hinweis auf den uns liebenden lebendigen und Wahren Gott gedacht, und vom ewigen Heil des Menschen, das unserer Vorstellungskraft entzogen ist und die Grenzen unseres Denkvermögens sprengt. „Herr, du Freund des Lebens, du hast mit allem Erbarmen, weil du alles vermagst“. Es geht also um die „misericordia“, das Herz für jene denen es schlecht geht, eben die Barmherzigkeit. Es geht um die liebevolle Fürsorge Gottes gegenüber den Menschen. In seiner Enzyklika „dives in misericordia“, lehrt Papst Johannes Paul II: „Das Erbarmen Gottes ist nicht so sehr Gegenstand einer Belehrung, sondern in erster Linie eine Wirklichkeit, die uns durch Christus gegenwärtig wird.“ Im heutigen Evangelium begegnet unser Herr Jesus Christus dem Zöllner Zachäus. Jesus, der nach Jerusalem unterwegs ist, hält sich in Jericho auf. Bei seinem Einzug in die Stadt hat er den blinden Bettler geheilt, der bis zu Jesus gelangte dank seines starken Glaubens und seiner Hartnäckigkeit gegenüber denen, die ihm zu schweigen befahlen. 

Aufgrund des reichen und fruchtbaren Gebietes war Zachäus sehr reich. Herodes hatte in dieser Grenzstadt Prunkbauten errichten lassen. 

Zachäus wollte auf einen Maulbeerfeigenbaum klettern, vielleicht einen jener wuchtigen Bäume am Straßenrand. Denken wir an die Belustigung der Menschen angesichts der Kletterei jenes kleinen, fülligen Zöllners. Er selbst wird sich daraus nichts machen, denn er will nur eines: Jesus sehen. 

Hier beginnt diese Geschichte für uns als Zuschauer interessant zu werden: „Will ich Jesus sehen?“, fragt Papst Johannes Paul II. in einer Predigt zu dieser Bibelstelle. 

„Tue ich mein Bestes, damit ich ihn sehen kann?“ Diese Frage ist heute - zweitausend Jahre danach - so aktuell wie damals, als Jesus durch Dörfer und Städte seiner Heimat zog. Sie ist aktuell für jeden einzelnen von uns. Will ich ihn sehen, oder meide ich die Begegnung mit ihm? Ziehe ich es vor, ihn nicht zu sehen, damit er mich nicht sieht? Und wenn ich ihn doch irgendwie wahrnehme: Habe ich es dann lieber, ihn von weither zu betrachten, ohne zu nahe an ihn heranzukommen, ohne mich vor ihn hinzustellen, um nur nicht aufzufallen, um nicht die ganze Wahrheit annehmen zu müssen, die in ihm, Christus ist, die Wahrheit, die aus ihm hervorgeht?“

Lassen wir uns diese Fragen des verstorbenen Papstes gefallen! Wie oft habe ich den Eindruck gewonnen - auch hier bei uns - dass für so viele Christentum in etwa bedeutet: Wasch mir den Pelz, aber bitte mach mich nicht nass. Natürlich ist es allen wichtig und wertvoll, dass ein Pfarrer vor Ort ist. Aber da und dort über den eigenen Schatten springen, ein wenig unterstützen durch apostolisches Wirken, von dem man nicht gleich Erfolge sieht, aber langsam doch eine Veränderung, das ist vielen zuviel. Natürlich ist es allen wichtig und wertvoll, dass jeden Sonntag Messe gefeiert wird. Auch wenn sie nur selten den Sonntagsgottesdienst besuchen, an dem einen Sonntag, wo es zufällig in den Kalender passt, da muss der Pfarrer dann bereitstehen. 

Mit dem Kind zum Erntedank, zur Palmprozession, zur Familienmesse kommen, das ja, aber angesprochen werden auf den Glauben, eingeladen werden zur Messe am Sonntag darauf - das schon wieder nicht. 

Zachäus hat in Kauf genommen - oder vielleicht unbewußt sogar darauf hingearbeitet - nicht nur Jesus sehen zu können, sondern auch von Jesus gesehen, ja angesprochen zu werden. Und in ihm geht eine radikale Veränderung vor. Hin zum Guten, hin zu Glück und Heil, heraus aus der Tretmühle einer egoistischen Lebensweise. 

Legen wir die Angst ab vor solchen Veränderungen, die der Herr in uns wirken will. Lassen wir uns ansprechen von ihm, wandeln und erneuern, dass er auch an uns und in uns sein Werk vollenden kann. 

Amen.